„Mehmet und Martin sind Freunde – und das ist gut so!“ – Mitmach-Aktion gegen Rassismus und Gewalt
Einkaufssamstag in Kirchheim, 7. März 2020, drei Tage nach dem Gedenken der Stadt Hanau und des Landes Hessen an die neulich von einem Rechtsextremen ermordeten Menschen, davon mehrere mit muslimischem Hintergrund. Vorwiegend junge Männer und Frauen, dazwischen auch einige Ältere haben sich in der Fußgängerzone vor dem Kornhaus mit selbstgemachten Schildern aufgestellt. Passanten, die sich die Zeit nehmen, lesen: „Mehmet und Martin sind Freunde – und das ist gut so!“. Oder: „Oslo/Breivik – Christchurch – Hanau – Kirchheim?“. Und: „Wir wollen ohne Polizeischutz beten können.“
Aktive der Initiative Attac, Engagierte aus der Kirchheimer Zivilgesellschaft und jugendliche und erwachsene Gläubige aus der Sultan Ahmet Moschee verschenken Lose an die vorüber Eilenden. Auf den Gewinnerlosen ist zu lesen: „Sie haben Glück. Sie leben in einer gerechten, offenen, solidarischen und vielfältigen Gesellschaft. Dafür …“. Der Aufforderung, den angefangenen Satz zu vervollständigen, kommen viele nach. Dabei entwickeln sich interessante Gespräche. Häufig drücken die Angesprochenen ihre Dankbarkeit aus, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben – und auch ihre Bereitschaft, diese Gesellschaftsordnung zu verteidigen.Sie betonen aber auch die Notwendigkeit, sich auf den Weg zur Weiterentwicklung der Demokratie zu machen. Diesen Weg drückt eine graue Papierbahn aus, die auf dem Straßenpflaster liegt. Hier formulieren die Gesprächsbereiten ihre Hoffnungen, Erwartungen und Statements – in Stichworten auf ein Kärtchen geschrieben: „Ich habe viele muslimischen Freunde“; „Danke für die Gastfreundschaft, die ich überall auf der Welt erfahren durfte!“; „Persönliche Gespräche und Begegnung helfen.“
Wie im richtigen Leben kann man auch beim Los-Ziehen Pech haben und die Aussage ziehen: „Tut uns leid. Leider leben Sie in einer Gesellschaft, in der Muslime – auch hier in Kirchheim – mit dem Tod bedroht werden. Dagegen ….“. Eine Passantin erschüttert der Satz so, dass sie spontan zu weinen anfängt. Viele reagieren mit „Dagegen müssen wir ankämpfen…“.
Das findet auch Yakub Kambir, Unternehmer aus Kirchheim, Vorstand der Sultan Ahmet Moschee in der Lohmühlgasse und einer der Mitorganisatoren der Aktion. Bei einem Vorgespräch äußert er: „Da sind zwei schockierende Erlebnisse für uns Musliminnen und Muslime hier in Kirchheim zusammengekommen: die Festnahme eines Kirchheimers am 14. Februar als mutmaßliches Mitglied einer rechten Terrorzelle, die Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime geplant hat – und fünf Tage später die Morde von Hanau. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Viele von uns fühlen sich richtig bedroht und haben ganz konkrete Ängste. Wenn du etwa beim Freitagsgebet in der Moschee mit dem Rücken zu Türe betest, dann läuft bei vielen von uns im Hintergrund Kopfkino ab: Was machst du, wenn jetzt einer durch diese Türe kommt und uns alle abknallen möchte.“
Die Initiatoren der Mitmach-Aktion fordern von sich, allen demokratischen Kräften und all den Bürger*innen in Kirchheim, die von den Rechten als „Gutmenschen“ verhöhnt werden: Schließen wir uns – überparteilich – zu einem „Aufstand der Anständigen“ zusammen. Treten wir der Verbreitung von Ausgrenzungideologien, von Hass, Hetze und Rassismus, der Aussbreitung von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus und der Gefährdung der Demokratie durch kontinuierliche Information, Aufklärung und solidarisches Handeln entgegen.