Datum/Zeit
Date(s) - 17/03/2022
19:00 - 20:00
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Warum konnte der Krieg nicht verhindert werden?
In Medienberichten und Talkshows hört man immer wieder Interpretationen, die nahelegen, es handele es sich bei dem Angriff auf die Ukraine um eine zwangsläufige Entwicklung, um einen einzig durch die imperiale Machtpolitik des russischen Präsidenten langfristig gesteuerten Akt: ihm gehe es allein um den Machterhalt, und die Kriegsentscheidung speise sich im Wesentlichen aus innenpolitischen Motiven. Dass solche Motive dazu beitrugen, ist offensichtlich. Die Reden, die der russische Präsident in den letzten beiden Wochen hielt, sprechen in der Tat eine höchst imperiale Sprache. Sie gehen über nachvollziehbare Sicherheitsinteressen weit hinaus. Allerdings wirken in diesem Krieg, wie in allen Kriegen, innen- und außenpolitische Faktoren zusammen. Man kann davon ausgehen, dass sie sich über die Jahre hin wechselseitig verstärkt haben. Sowohl Russland als auch die NATO-Mitgliedstaaten und auch die Ukraine waren an diesem Prozess beteiligt. Es wurde versäumt, tragfähige Lösungen zu finden, die die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen aller Beteiligten austariert hätten.
Prävention wäre wichtig gewesen
Die Kriegshandlungen der russischen Regierung sind mit nichts zu entschuldigen und scharf zu verurteilen. Aber es wäre völlig falsch, die Sicht auf diesen Krieg nur auf die Eskalation in den letzten Stufen zu begrenzen. Der Krieg in der Ostukraine schwelt seit acht Jahren und der Konflikt zwischen dem Kreml und der NATO verschärfte sich seit 2008, als der Ukraine auf Drängen der USA das Signal gegeben wurde, die Tür für einen Beitritt sei geöffnet.
Wolfgang Ischinger, der langjährige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz hat dies zu Recht als den „Sündenfall der NATO“ bezeichnet. In seiner letzten Pressekonferenz am 14. Februar äußerte er die Überzeugung, die deutsche und französische Regierung, die einen ukrainischen Beitritt skeptisch sahen, hätten dem damals entschiedener widersprechen müssen. Er beendete sein Statement mit dem Hinweis, dass es von Vorteil wäre, auf diplomatischem Wege eigene Fehler einzugestehen und zu korrigieren, weil es dann auch der anderen Seite leichter falle einzulenken.
Weiterhin besteht ein Problem darin, dass man hier nie nach Korrekturen gesucht und auch seitens des Westens die eigenen Anteile an dem Konflikt so konsequent verdrängt hat. Was der russischen Regierung in den bilateralen Gipfelgesprächen in den letzten Wochen von westlicher Seite angeboten wurde, ist vertraulich und der breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt. Den Statements westlicher PolitikerInnen lässt sich entnehmen, dass es Vorschläge für einen Dialog über Abrüstung gab, während die Forderung der russischen Seite nach einem definitiven Verzicht auf nochmalige NATO-Erweiterung als nicht verhandelbar betrachtet wurde.
Menschen aus der Friedensforschung, ehemalige Diplomat*innen und Bundeswehrangehörige hatten bis zum Schluss gehofft, dass die Kontrahenten endlich in ernsthafte und in längerfristige Verhandlungen eintreten und dass ein Moratorium für jegliche Bündniserweiterung ausgesprochen würde. Ob solche Vorschläge die bereits hocheskalierte Situation hätten entschärfen können, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ein explizites Moratorium hätte der russischen Regierung eine Kriegsentscheidung aber gewiss erschwert. Sicher ist gegenwärtig nur die Erkenntnis, dass sich Konflikte schwer transformieren lassen, wenn sie schon hoch eskaliert sind. Damit hätte man schon vor 15 Jahren beginnen müssen.
Wie kommt man raus aus der Eskalationsspirale?
Die Entscheidung von internationalen Organisationen und Einzelstaaten für umfassende Finanzsanktionen und auch der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-Zahlungsverkehr sind ein wichtiges weltweites Signal und unerlässlich auch aus Gründen der Solidarität mit der Ukraine. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass sie zu einer kurzfristigen Verhaltensänderung im Kreml führen und man muss sich auf weitere Provokationen einstellen.
Es fragt sich, wie diese Spirale noch eingehegt werden kann. Um zu deeskalieren sind weitere Schritte erforderlich. Auch wenn es angesichts einer Kriegssituation schwerfällt, sollte man alle Beteiligten auffordern, weiterhin für Gespräche offenzubleiben. Es wäre fatal, jetzt vom Ende der Diplomatie zu sprechen.
Gerade angesichts der Entscheidung Putins, die atomaren Streitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, müssen alle Mittel ausgeschöpft werden, um die Eskalation in einen Nuklearkrieg, aus dem es kein Zurück mehr gibt, zu beenden. Um die Gewalt zu stoppen sind nicht nur Gespräche zwischen der russischen und ukrainischen Führung, sondern auch über den Atlantik hinweg erforderlich.
Hilfreich wäre ein Team von Mediatoren, das gemeinsam mit dem UN-Generalsekretär oder einem UN-Sonderbeauftragten vermittelt und mit Russland, der Ukraine und der NATO nach tragfähigen Lösungen sucht. Das müsste allerdings aus Staaten kommen, die nicht direkt in den Konflikt eingebunden sind, und aus Akteuren zusammengesetzt sein, die alle Seiten akzeptieren können. Außerdem müssen die diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) genutzt werden.
Zudem sollte ausgelotet werden, ob der Einfluss der chinesischen Führung auf den russischen Präsidenten genutzt werden kann. Letztlich wird man, um einen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine zu erwirken, vermutlich aber auch im Westen von den bisherigen Positionen abrücken und sich von der Idee einer Bündniserweiterung verabschieden müssen.
Was dient dem Frieden in Europa?
Man darf die Hoffnung auf die Herstellung einer langfristigen europäischen Friedensordnung nicht aufgeben. Auch die Idee einer mehrjährigen Konferenz, die sich um die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa bemüht, wie sie von ehemaligen Bundeswehroffizieren, Diplomaten und Friedensforscher*innen vorgeschlagen wurde, ist nicht obsolet. Nur über den Dialog kann man versuchen, eine Sicherheitsordnung in Europa aufzubauen, die von allen Seiten mitgetragen wird. Gleichzeitig muss man die Hoffnung darauf richten, dass sich im Umfeld des Kreml irgendwann wieder Berater Gehör verschaffen können, die über Erfahrung in der Diplomatie verfügen und die Vorteile kooperativer Sicherheitsstrukturen zu schätzen wissen. Sicherheit in Europa wird langfristig nicht gegen, sondern nur mit Russland herstellbar sein. Dieser Satz, der von namhaften Sicherheitspolitiker*innen seit Jahrzehnten und auch von Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich wiederholt wurde, bleibt richtig.
Wir brauchen eine europäische Sicherheitsarchitektur, die garantiert, dass Grenzen geachtet werden und dass sich Sicherheit an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Diese sollte weder von Russland diktiert, noch von den Vereinigten Staaten dominiert werden, sondern eine völlig neue, europäische Ausrichtung haben. Die Struktur dafür bietet die OSZE, nicht der Ausbau von Militärbündnissen in Ost und West, die sich dann nach dem Vorbild des Kalten Kriegs einander waffenstarrend gegenüberstehen. Eine erneute Hochrüstung nach diesem Modell würde dazu führen, dass für die Bewältigung der großen Krisen, die die Menschheit herausfordern – dazu gehören unter anderem Pandemien, die Klimakrise und das Artensterben – keine Mittel mehr zur Verfügung stehen.
Dr. Martina Fischer arbeitet seit April 2016 als Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt. Die promovierte Politikwissenschaftlerin ist seit den 1980er Jahren in der Friedensforschung aktiv. Für die Berghof Foundation in Berlin hat sie sich ab 1998 vor allem mit der Friedensförderung in Nachkriegsgesellschaften und der Rolle von Zivilgesellschaft in der Konflikttransformation beschäftigt. Sie hat zu diesen Themen einschlägige wissenschaftliche Publikationen verfasst und verschiedene Praxisprojekte begleitet, beispielsweise zur Aussöhnung in der Balkan-Region. Von 2011 bis 2017 war sie Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Sie unterstützt ökumenische Initiativen in friedenspolitischen Fragen und vertritt Brot für die Welt in der „Konferenz für Friedensarbeit“ und in der „Plattform zivile Konfliktbearbeitung“.
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