Krieg mit der Ukraine beenden – online-Gespräch mit Dr. Martina Fischer (Brot für die Welt)

Warum konnte der Krieg nicht verhindert werden?

In Medienberichten und Talkshows hört man immer wieder Interpretationen, die nahelegen, es handele es sich bei dem Angriff auf die Ukraine um eine zwangsläufige Entwicklung, um einen einzig durch die imperiale Machtpolitik des russischen Präsidenten langfristig gesteuerten Akt: ihm gehe es allein um den Machterhalt, und die Kriegsentscheidung speise sich im Wesentlichen aus innenpolitischen Motiven. Dass solche Motive dazu beitrugen, ist offensichtlich. Die Reden, die der russische Präsident in den letzten beiden Wochen hielt, sprechen in der Tat eine höchst imperiale Sprache. Sie gehen über nachvollziehbare Sicherheitsinteressen weit hinaus. Allerdings wirken in diesem Krieg, wie in allen Kriegen, innen- und außenpolitische Faktoren zusammen. Man kann davon ausgehen, dass sie sich über die Jahre hin wechselseitig verstärkt haben. Sowohl Russland als auch die NATO-Mitgliedstaaten und auch die Ukraine waren an diesem Prozess beteiligt. Es wurde versäumt, tragfähige Lösungen zu finden, die die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen aller Beteiligten austariert hätten.

Prävention wäre wichtig gewesen

Die Kriegshandlungen der russischen Regierung sind mit nichts zu entschuldigen und scharf zu verurteilen. Aber es wäre völlig falsch, die Sicht auf diesen Krieg nur auf die Eskalation in den letzten Stufen zu begrenzen. Der Krieg in der Ostukraine schwelt seit acht Jahren und der Konflikt zwischen dem Kreml und der NATO verschärfte sich seit 2008, als der Ukraine auf Drängen der USA das Signal gegeben wurde, die Tür für einen Beitritt sei geöffnet.

Wolfgang Ischinger, der langjährige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz hat dies zu Recht als den „Sündenfall der NATO“ bezeichnet. In seiner letzten Pressekonferenz am 14. Februar äußerte er die Überzeugung, die deutsche und französische Regierung, die einen ukrainischen Beitritt skeptisch sahen, hätten dem damals entschiedener widersprechen müssenEr beendete sein Statement mit dem Hinweis, dass es von Vorteil wäre, auf diplomatischem Wege eigene Fehler einzugestehen und zu korrigieren, weil es dann auch der anderen Seite leichter falle einzulenken.

Weiterhin besteht ein Problem darin, dass man hier nie nach Korrekturen gesucht und auch seitens des Westens die eigenen Anteile an dem Konflikt so konsequent verdrängt hat. Was der russischen Regierung in den bilateralen Gipfelgesprächen in den letzten Wochen von westlicher Seite angeboten wurde, ist vertraulich und der breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt. Den Statements westlicher PolitikerInnen lässt sich entnehmen, dass es Vorschläge für einen Dialog über Abrüstung gab, während die Forderung der russischen Seite nach einem definitiven Verzicht auf nochmalige NATO-Erweiterung als nicht verhandelbar betrachtet wurde.

Menschen aus der Friedensforschung, ehemalige Diplomat*innen und Bundeswehrangehörige hatten bis zum Schluss gehofft, dass die Kontrahenten endlich in ernsthafte und in längerfristige Verhandlungen eintreten und dass ein Moratorium für jegliche Bündniserweiterung ausgesprochen würde. Ob solche Vorschläge die bereits hocheskalierte Situation hätten entschärfen können, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ein explizites Moratorium hätte der russischen Regierung eine Kriegsentscheidung aber gewiss erschwert. Sicher ist gegenwärtig nur die Erkenntnis, dass sich Konflikte schwer transformieren lassen, wenn sie schon hoch eskaliert sind. Damit hätte man schon vor 15 Jahren beginnen müssen.

Wie kommt man raus aus der Eskalationsspirale?

Die Entscheidung von internationalen Organisationen und Einzelstaaten für umfassende Finanzsanktionen und auch der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-Zahlungsverkehr sind ein wichtiges weltweites Signal und unerlässlich auch aus Gründen der Solidarität mit der Ukraine. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass sie zu einer kurzfristigen Verhaltensänderung im Kreml führen und man muss sich auf weitere Provokationen einstellen.

Es fragt sich, wie diese Spirale noch eingehegt werden kann. Um zu deeskalieren sind weitere Schritte erforderlich. Auch wenn es angesichts einer Kriegssituation schwerfällt, sollte man alle Beteiligten auffordern, weiterhin für Gespräche offenzubleiben. Es wäre fatal, jetzt vom Ende der Diplomatie zu sprechen.

Gerade angesichts der Entscheidung Putins, die atomaren Streitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, müssen alle Mittel ausgeschöpft werden, um die Eskalation in einen Nuklearkrieg, aus dem es kein Zurück mehr gibt, zu beenden. Um die Gewalt zu stoppen sind nicht nur Gespräche zwischen der russischen und ukrainischen Führung, sondern auch über den Atlantik hinweg erforderlich.

Hilfreich wäre ein Team von Mediatoren, das gemeinsam mit dem UN-Generalsekretär oder einem UN-Sonderbeauftragten vermittelt und mit Russland, der Ukraine und der NATO nach tragfähigen Lösungen sucht. Das müsste allerdings aus Staaten kommen, die nicht direkt in den Konflikt eingebunden sind, und aus Akteuren zusammengesetzt sein, die alle Seiten akzeptieren können. Außerdem müssen die diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) genutzt werden.

Zudem sollte ausgelotet werden, ob der Einfluss der chinesischen Führung auf den russischen Präsidenten genutzt werden kann. Letztlich wird man, um einen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine zu erwirken, vermutlich aber auch im Westen von den bisherigen Positionen abrücken und sich von der Idee einer Bündniserweiterung verabschieden müssen.

Was dient dem Frieden in Europa?

Man darf die Hoffnung auf die Herstellung einer langfristigen europäischen Friedensordnung nicht aufgeben. Auch die Idee einer mehrjährigen Konferenz, die sich um die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa bemüht, wie sie von ehemaligen Bundeswehroffizieren, Diplomaten und Friedensforscher*innen vorgeschlagen wurde, ist nicht obsolet. Nur über den Dialog kann man versuchen, eine Sicherheitsordnung in Europa aufzubauen, die von allen Seiten mitgetragen wird. Gleichzeitig muss man die Hoffnung darauf richten, dass sich im Umfeld des Kreml irgendwann wieder Berater Gehör verschaffen können, die über Erfahrung in der Diplomatie verfügen und die Vorteile kooperativer Sicherheitsstrukturen zu schätzen wissen. Sicherheit in Europa wird langfristig nicht gegen, sondern nur mit Russland herstellbar sein. Dieser Satz, der von namhaften Sicherheitspolitiker*innen seit Jahrzehnten und auch von Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich wiederholt wurde, bleibt richtig.

Wir brauchen eine europäische Sicherheitsarchitektur, die garantiert, dass Grenzen geachtet werden und dass sich Sicherheit an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Diese sollte weder von Russland diktiert, noch von den Vereinigten Staaten dominiert werden, sondern eine völlig neue, europäische Ausrichtung haben. Die Struktur dafür bietet die OSZE, nicht der Ausbau von Militärbündnissen in Ost und West, die sich dann nach dem Vorbild des Kalten Kriegs einander waffenstarrend gegenüberstehen. Eine erneute Hochrüstung nach diesem Modell würde dazu führen, dass für die Bewältigung der großen Krisen, die die Menschheit herausfordern – dazu gehören unter anderem Pandemien, die Klimakrise und das Artensterben – keine Mittel mehr zur Verfügung stehen.

Dr. Martina Fischer arbeitet seit April 2016 als Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt. Die promovierte Politikwissenschaftlerin ist seit den 1980er Jahren in der Friedensforschung aktiv. Für die Berghof Foundation in Berlin hat sie sich ab 1998 vor allem mit der Friedensförderung in Nachkriegsgesellschaften und der Rolle von Zivilgesellschaft in der Konflikttransformation beschäftigt. Sie hat zu diesen Themen einschlägige wissenschaftliche Publikationen verfasst und verschiedene Praxisprojekte begleitet, beispielsweise zur Aussöhnung in der Balkan-Region. Von 2011 bis 2017 war sie Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Sie unterstützt ökumenische Initiativen in friedenspolitischen Fragen und vertritt Brot für die Welt in der „Konferenz für Friedensarbeit“ und in der „Plattform zivile Konfliktbearbeitung“.


Dr. Martina Fischer am 27.02.2022 in einem Blog-Beitrag (Auszüge).


 

Rede auf der Kundgebung „Solidarität statt Spaltung“

Mehrere Kirchheimer Initiativen und Organisationen haben am Samstag zur Kundgebung „Solidarität statt Spaltung“ auf dem Schlossplatz aufgerufen, um ein Zeichen für eine solidarische Gesellschaft in der Pandemie zu setzen. Unser LINKEN-Gemeinderatsmitglied aus Kirchheim, Heinrich Brinker, durfte im Namen des Forum 2030 die Versammelten begrüßen und die erste Rede des Tages halten.

Neben der Live-Musik vom FrauenPercussionProjekt Leilani haben weitere Redner wie Peter Schadt vom Deutschen Gewerkschafts Bund (DGB) die Bühne betreten. In seiner Rede analysierte der Gewerkschafter den Widerspruch im Umgang der Politik mit der Gesundheit der Bevölkerung und der Notwendigkeit, die kapitalistische Produktion unter Einsatz dieser Gesundheit am Laufen zu halten. Die Pandemie träfe diejenigen am härtesten, die auch zuvor zu den Schwächsten gezählt hätten. Schadt weiter: „Einerseits können die Maßnahmen also nicht radikal genug sein, immerhin geht es um die Gesundheit aller Arbeitskräfte, andererseits können sie gar nicht locker genug sein, weil jede Maßnahme genau der Wirtschaft schadet, die sie schützen soll! Dieser Widerspruch entspringt keinem bösen Geist, sondern unserer Ökonomie!“ In Richtung der sogenannten Querdenker und Spaziergänger zieht er ein Fazit: „Die falschen Parolen auf den Demos treffen auf die falschen Verhältnisse, in denen alles vom Profit abhängig gemacht wird.“

 

Heinrich Brinkers Rede:

Liebe Kirchheimerinnen und Kirchheimer, ich freue mich, so viele Menschen hier zu sehen, die sich der Solidarität verpflichtet fühlen und der Spaltung unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen wollen. Mein Name ist Heinrich Brinker und ich stehe hier als einer der Sprecher des Kirchheim Forum 2030. Mehr als 30 Initiativen und Organisation haben zu dieser Kundgebung aufgerufen. Darüber hinaus wird diese Kundgebung auch von den Gemeinderatsfraktion der Grünen, der Linken, der CIK und der SPD unterstützt. Warum ist uns dieser Aufruf so wichtig? Wir sind wöchentlich Zeugen der sogenannten „Sparziergänge“, die sich als Wortführer für
Freiheit und Selbstbestimmung darstellen. Dabei wird die Gefahr der Pandemie bewusst ignoriert und dabei kommen sich manche auch noch besonders stark vor, wenn sie Polizisten täuschen können.

Es hat wenig mit Solidarität zu tun, wenn keine Masken getragen und die Convid19 Gefahr verharmlost wird. Wenn dann auch noch ein gemeinsamer Marsch mit Rechtsradikalen daraus wird, dann führt das zu einer politischen Entwicklung, die auf eine Spaltung der Gesellschaft hinausläuft. Auch wenn in Kirchheim manch „AntiCoronaSparziergänger“ von sich behauptet, kein Rechtsradikaler zu sein, dann muss er oder sie sich schon fragen lassen, ob die Aktion in Kirchheim nicht doch als Bestandteil der bundesweiten Märsche gesehen wird, die nachweislich von Querdenkern und Rechtsradikalen instrumentalisiert werden.

Wir alle leiden unter den PandemieRegeln und jeder von uns ärgert sich über das mangelhafte Krisenmanagement der Regierung. Wir alle waren Zeugen, dass wir von einem Mangel in den nächsten gestolpert sind. Für die Initiatoren des Aufrufs steht die Solidarität mit den Menschen im Vordergrund: mit den Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, mit den Pflegenden im privaten Haushalten sowie in den Einrichtungen, mit dem medizinischen Personal in den Praxen und in den Kliniken und mit allen, die unter der Pandemie leiden oder sehr beansprucht werden. Unsere Solidarität gilt insbesondere den Eltern und Kindern, dass sie solche Pandemieerfahrungen nie wieder machen müssen.


Ich fürchte, dass die Probleme nicht mit der notwendigen Entschiedenheit angegangen werden wenn wir uns nicht für diese Themen stark machen.

Lassen sie unsere Gesellschaft gemeinsam pandemiefest machen.